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Manchmal erscheinst du mir sehr abstrakt
Zur Malerei von Henriette Grahnert
von Harriet Zilch
„Das Streben nach Einzigartigkeit produziert in den meisten Fällen nur Müll. Das Beste, was ein Künstler heute leisten kann, ist die gekonnte Reorganisation von Dingen, die wir längst kennen.“ (David Bowie)
- Manchmal erscheinen die Gemälde von Henriette Grahnert sehr abstrakt. Manchmal jedoch auch nicht. Gekonnt jongliert die Künstlerin mit den unterschiedlichsten Malereitraditionen: Ihre Bilder zitieren klassische Abstraktion und konkrete Malerei, minimalistische Traditionen und Bad Painting, amerikanische Farbfeldmalerei und Pop Art. Gestische Pinselschwünge und informelle Kleckse treffen auf figurative Elemente, harte Kanten auf filigrane Farbverläufe, dünn lasierte auf pastos gespachtelte Farbflächen. Mit hintersinnigem Humor verbindet Henriette Grahnert diese vermeintlichen Antagonismen zu einem individuellen Bilderkosmos. Dabei steht jedoch keine der zitierten Stilrichtungen und Malweisen tatsächlich für das, was sie vorgibt zu sein. Viel eher handelt es sich um einen klugen Umgang mit Zitaten und Bezugnahmen sowie um einen differenzierten Diskurs über die Malerei selbst. Oder eben um „die gekonnte Reorganisation von Dingen, die wir längst kennen.“
Die Freude an Verweisen und Anspielungen findet sich auch auf sprachlicher Ebene: Henriette Grahnerts Werktitel transportieren einen spezifischen Humor, der – mit subtiler Ironie und weit entfernt von billigem Klamauk oder böser Polemik – weitere Rezeptionsebenen offeriert. Bedeutungen verschieben sich, und selbst (vermeintlich) abstrakte Kompositionen erhalten eine narrative Komponente, die sich mit Alltagserfahrungen verknüpfen lässt: Aus einer formatfüllenden, verworrenen Konstruktion farbiger Verbindungslinien und dem Werktitel Ja schön, aber das beantwortet nicht die Frage (2008) wird ein Sinnbild für die bisweilen komplizierten Wege menschlicher Kommunikation. Ein strahlend grüner Punkt unter unscheinbaren Kollegen erscheint durch den Titel Wer mag schon Streber!? (2008) als Wichtigtuer, der sich in den (Bild-)Mittelpunkt zu spielen versucht. Eine filigrane braune Wabenstruktur und expressive, mit dem Pinselstiel aufgebrachte Kratzer werden durch die doppeldeutige Bezeichnung Alte Schachtel (2011) zur Streichholzbox mit charakteristischen Spuren auf der Reibfläche.
Titel und Werk führen bei Henriette Grahnert eine emanzipierte und sich gegenseitig bereichernde Beziehung. Sie sind erfrischend gleichberechtigt, denn weder beschreibt der Titel das Werk, noch illustriert das Werk den Titel. Beide haben eine eigenständige Persönlichkeit und sind zugleich doch auch ein Dream Team: Hat der Betrachter sie einmal gemeinsam wahrgenommen, wird er sie gedanklich nicht wieder trennen können.
Dieser taktisch versierte, stets leicht und lapidar wirkende Umgang mit Bild und Sprache erinnert bisweilen an den Humor früher Werke Sigmar Polkes. Mit feinsinniger Ironie und zugleich sehr ernsthaft nahm auch er Alltagsbeobachtungen ebenso aufs Korn wie die Kunst selbst. Wie eine Hommage erscheint da Henriette Grahnerts Bild In die Ecke zurück!??? (2009), indem sie sich auf Polkes legendäres Gemälde Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen! aus dem Jahr 1969 bezieht. Nach 40 Jahren scheint Polkes schwarze Ecke ein rebellisches Eigenleben entwickelt zu haben und ist ins Bild gekippt. Mit dem rüden Befehl „Ab in die Ecke, in die Ecke zurück!“ wird sie jedoch auf ihren angestammten Platz zurückgeschickt. Die Ordnung ist wieder hergestellt, die höheren Wesen (hoffentlich) besänftigt.
Ihren „Befehl“ setzt Henriette Grahnert als handgeschriebenen Kommentar direkt auf die Leinwand, und auch zahlreiche andere Werke arbeiten mit diesen in die Malerei eingebauten „Textbausteinen“. Vielfach werden dabei visuelle Ausdrucksformen und textuelle Phänomene der Werbung zitiert: Die plakativ erscheinende Frage Is enough good enough? (2011), in grauer Farbwolke auf eine buntkarierte Leinwand geschrieben, erinnert an einen Werbeslogan, der zwar zunächst eingängig klingt, dann aber doch weitgehend inhaltsfrei bleibt. My inner beauty may speak to you (2010) gibt eine gängige Phrase über die Schönheit innerer Werte wieder. Jedoch besteht eine offenkundige Dissonanz zwischen der „Botschaft“ des Bildes, dem Apell nach einem Blick hinter die schöne Fassade, und den gewählten Mitteln, die eine plakative Werbeästhetik zitieren. Die explizite Aufforderung an das Gegenüber, hinter das schöne Antlitz zu schauen, wird ad absurdum geführt, da das Gemälde ausschließlich dekorative Oberfläche bietet. Auch das Bild Mostly Middle (2011) zitiert mit seiner Reduktion auf grafische Elemente eine nostalgisch wirkende Werbeästhetik. Persiflierend und zugleich sehr charmant zeigt das Bild in einem Art Organigramm: Es überwiegt – im Leben wie in der Kunst – das Mittelmaß. - Die Gemälde von Henriette Grahnert scheinen nicht nach Einzigartigkeit zu streben, sondern weisen bisweilen eher multiple Persönlichkeiten auf. Auf der Bildoberfläche existieren dann nicht einzelne Bilder, sondern zugleich sehr viele. Farbverläufe, Flecken und Spritzer leben im Untergrund und erzählen von einem geheimnisvollen und oft explosiven Dahinter. Sie halten den Herstellungsprozess des Bildes, seine Prozesshaftigkeit und sein Wachstum explizit präsent. Davor, auf der Bildoberfläche, werden diese Repräsentanten der eigenen Entstehungsgeschichte von abstrakten, großflächigen Bildelementen überlagert und die Oberfläche damit formal beruhigt. Diese übereinandergelegten Malschichten oszillieren zwischen den Gegenpolen Präsentation und Entzug: eine Beobachtung, die ebenso für die Inhaltlichkeit vieler Arbeiten gilt. Henriette Grahnert öffnet Vorhänge, präsentiert Bühnen oder Manegen und rückt ihre Actors/Models/Dudes (2015/16) ins Rampenlicht. Zugleich werden Heimlichkeiten unter den Teppich oder unter biedere Scheinheiligkeitsdeckchen gekehrt. Geheimnisse werden hier auf allen Ebenen bewahrt: Keeping Secrets.
- Diese Schicht um Schicht entstandenen Bilder thematisieren Räumlichkeit, da sie explizit ein Davor und ein Dahinter visualisieren. Ein kluges Spiel mit Zwei- wie Dreidimensionalität, Überlagerungen und Wegnahmen, Leerstellen und Doppelungen demonstrieren auch zahlreiche andere Arbeiten. Selbst ein kleinformatiges Bild wie Wurst und Stahl (2014) zeigt eine frappierende räumliche Wirkung: Der Bildvordergrund ist durch ein Andreaskreuz der deutschen Exportschlager Wurst und Stahl formatfüllend verstellt. Dahinter zeigt sich illusionistische Weite, die sogar überirdisch zu leuchten scheint. Mehrschichtige Illusionsräume, die mit der Wahrnehmung des Betrachters spielen und sich erst nach und nach in ihrer Komplexität aufschlüsseln lassen, schaffen jedoch vor allem die großformatigen Bühnen: Hello! Is it you we are waiting for? (2014), If no one is looking (2014) oder Cockfighting Screens (2014). Die Titel dieser „Bühnenbilder“ verweisen subtil auf die eigentliche Handlung, auf das was passiert, wenn niemand hinschaut. Der gemalte Bühnenraum bietet die Projektionsfläche für diese Geschehnisse, die sich im Verborgenen und in den Köpfen des Betrachters abspielen.
Der architektonische Umraum ist vielfach von zentraler Bedeutung für die Bildkompositionen, und Henriette Grahnert hat zahlreiche Möglichkeiten gefunden, Bild- und Ausstellungsraum miteinander in Beziehung zu setzen: Die Arbeit Sportsfreundin (2008) zeigt zwei Bälle, die auf Brusthöhe mit Spanngurten auf der Leinwand fixiert sind. Diese Arbeit lebt von der gebändigten Dynamik und von der Vorstellung, dass sich die bunten Bälle jederzeit von ihren Fesseln befreien und in den Ausstellungsraum hineinspringen könnten. Bei der Arbeit So schnell kann’s gehen (2008) hat das „ü“ des Wortes Glück seine ü-Tüpfelchen verloren. Sie sind heruntergefallen und liegen nun auf dem Boden des Ausstellungsraums. Nur das unglückliche Wort „Gluck“ ist an der Wand verblieben. Monsieur Tableaus (2015) Leinwandkörper hat hingegen seinen genuinen Platz an der Wand gänzlich verlassen. Er steht selbstbewusst und wie ein Bühnenschauspieler frei im Raum und verwischt dabei nonchalant die Gattungsgrenze zwischen Malerei, Skulptur und Mixed-Media-Assemblage.
Monsieur Tableau könnte ein großer Bruder der aktuellen Werkserie der Actors/Models/Dudes sein: Hier klebt Henriette Grahnert aus Mode- und Handarbeitsmagazinen ausgeschnittene figurative Versatzstücke auf die Leinwand. Arme, Kopfbedeckungen und Accessoires wachsen über das durch die Außenkanten des Bildträgers begrenzte Format hinaus. Breite Pinselwischer deuten Körpersilhouette und Physiognomie der Protagonisten an. Jedoch verkehren sich die expressiven Gesten schnell in das Gegenteil: Zufall und Vorsatz verbrüdern sich, und aus dem vermeintlich Unkalkulierten formen sich planvolle Zwitterwesen zwischen Abstraktion und Figürlichkeit. Individuelle Namen verleihen Persönlichkeit: Ulla von Basta (2015) verschränkt die Arme so vehement vor dem Oberkörper, dass ihre Haltung zu einem einzigen trotzigen „Basta“ wird. Olaf Ohnesorg (2015) versenkt die Hände lässig und tatsächlich ziemlich sorglos in den Hosentaschen, und Maasha Tagliatowa (2015) erinnert mit kokett in die Seiten gestemmten Armen an eine resolute Aeroflot-Stewardess.
- Trotz ihrer visuellen Verführungskraft, der Attraktivität in Motivik und Farbigkeit, sind Henriette Grahnerts Werke weit entfernt vom rein Dekorativen, vom bloßen Bühnenspektakel. Alles, was spontan, direkt und spielerisch wirkt, erweist sich zugleich als geplant, kontrolliert und verkopft. Alles, was sich augenzwinkernd darstellt, ist zugleich sehr ernsthaft. Alles, was sich als rotziges Zufallsprodukt präsentiert, zeigt sich zugleich als behutsam und akkurat komponiert. Die pointierten Werktitel erleichtern den Zugang, sind jedoch auch ein Garant für multiple Bedeutungszusammenhänge. Eine Reflexion über das Medium der Malerei ist diesen Bildern stets inhärent. Jedoch erschöpft sich der Diskurs nicht in reiner Selbstbespiegelung, sondern öffnet sich dem alltäglichen Leben. Der Betrachter sieht sich nicht mit einem hermetisch geschlossenen Kosmos konfrontiert, sondern entdeckt eine Vielzahl tragikomischer Don Quijotes, die Identifikation wie Empathie und ein diffuses Gefühl der Solidarität provozieren. Aber nicht nur am Leben und seinen bisweilen komplizierten Parametern scheiternde Helden, sondern auch brennende Hähne, schießende Cowboys, schüchterne Sterne, einflussreiche Schwiegermütter und Männer ohne Zwischenleib gehören zum Personal dieser Malerei. Letztlich wären sogar Flamingos im Werk von Henriette Grahnert denkbar, sollte ihre Präsenz von höheren Wesen befohlen werden: „Ich stand vor der Leinwand und wollte einen Blumenstrauß malen. Da erhielt ich von höheren Wesen den Befehl: Keinen Blumenstrauß! Flamingos malen! Erst wollte ich weitermalen, doch dann wusste ich, dass sie es ernst meinten.“ (Sigmar Polke)
1 Interview vom 11.10.1999, vgl.: www.spiegel.de/kultur/musik/0,1518,46151,00.html [Stand: 10.05.2016].
2 Ebd.
3 Das „A“ springt bei Henriette Grahnert nach oben leicht aus der Zeile, so als habe sie den Satz mit einer fehlerhaften Schreibmaschine auf die Leinwand getippt: auch dies ein Verweis auf Sigmar Polke, der bei seinem Gemälde selbigen Bildwitz bei allen Großbuchstaben vornahm.
4 Unterm Teppich (2009); Scheinheiligkeitsdeckchen (2010); Scheinheiligkeitsdeckchen und Compagnon (2013).
5 Vgl. Werkserie Keeping Secrets (2014-2016).
6 Cock burning (2011); Quentin playing the cowboy (2015); Shy Star (2009); Schwiegermutters Einfluss (2015); Der Mann ohne Zwischenleib (2011).
7 Sigmar Polke, Vitrinenstück, 1966, Leihgabe des Wittelsbacher Ausgleichsfonds Sammlung Herzog Franz von Bayern an die Bayerische Staatsgemäldesammlung.
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